ULNA VS. GEWEBE

Lange Ulna, kurze Gewebe

Von Jorin im Dezember 2023

Zielsetzung und Grenzen

In diesem Abschnitt geht es um den Umgang mit den bei der Radiusaplasie im Vergleich zur Ulna (Elle) zu kurz geratenen Gewebe, Muskeln, Sehnen etc. auf der radialen Seite des Unterarms, was zu der typischen gekrümmten „Klumphand“ führt. Um die Handstellung chirurgisch zu korrigieren und gerade auszurichten muss dieser Unterschied ausgeglichen werden. Hierfür gibt es verschiedene Ansätze, von denen ich einige (die meisten?) in diesem Beitrag diskutieren möchte.

Angesichts meiner Ausbildung und meines beruflichen Hintergrunds lehne ich mich möglicherweise weit aus dem Fenster. Ich bin jedoch sicher, dass dieses Thema viele Betroffene interessiert – uns hat es jedenfalls viel Beschäftigt. Wir fanden vor allem die Vorstellung, dass die Ulna gekürzt wird, sehr fragwürdig, bevor wir mehr über die Hintergründe gelernt haben.

Ich erhebe keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit meiner Ausführungen, ich habe mir dennoch Mühe gegeben einigermaßen Wissenschaftlich zu arbeiten und Schlussfolgerungen sorgfältig zu ziehen. Ich habe auch einige Fachleute zu meinen Thesen befragt. Wenn du einen Fehler findest oder einen Verbesserungsvorschag hast, lass es mich bitte wissen!

Die derzeitigen Methoden zur Überwindung der Längenunterschiede

Der begrenzende Faktor bei der Korrektur der radialen Klumphand sind die Gewebe – die Muskeln, Sehnen, Nerven und Gefäße -, die kürzer als die Ulna sind und so den Winkel begrenzen, um den die Hand aufgerichtet werden kann. Die erste Methode, die einem in den Sinn kommt (und die auch heute noch weit verbreitet ist), um dieses Problem zu überwinden, besteht darin, die Gewebe vor dem chirurgischen Eingriff „aufzudehnen“. Dies kann entweder durch die Verwendung eines externen Fixateurs („externe Fixierung“) oder durch andere Mittel der Distraktion, z. B. Schienen/Orthesen oder Gipsverbände, geschehen. Bei Radialisationen ist die Distraktion durch einen Fixateur Externe, der vor der Operation mehrere Monate lang angebracht bleiben muss, eine gängige Methode. In einigen Fällen wird erst nach der Operation eine externe Fixierung verwendet, um alles an Ort und Stelle zu halten (Dr. Standards Ansatz).

Die andere Möglichkeit ist die Verkürzung des Knochens, um ihn an die Länge der Weichteile anzupassen (der Ansatz von Dr. Paley in der neuesten Generation – aktuell Gen. 3  – der Ulnarisationstechniken [2]).

Dr. Paley erörtert die Fragestellung der Verlängerung vs. Verkürzung in seinem Paper „Shortening: The orthopedic theory of relativity“ ausführlich. [1]

Aufdehnung vs. Kürzung der Ulna

Distraktion der Gewebe im Allgemeinen

  • Es wird eine Kraft ausgeübt, die zu einer zusätzlichen Belastung der Gelenkknorpel und der Epiphysenfugen (Wachstumsfugen) führt [1].
  • Viele Schienen haben nur eine vernachlässigbare Wirkung (mehr dazu unten)
  • Erfordert viel Zeit


Distraktion durch externe Fixierung

  • Beansprucht Muskeln und Faszien stark [1].
  • Bedeutet eine erhebliche Belastung für Patienten und Eltern.
  • Birgt ein hohes Risiko für Infektionen (vor allem an den in den Knochen verankerten Pins), die das dringend benötigte Knochenwachstum hemmen können.
  • Zusätzliche Operationen zur Behebung von Problemen wie herausgerissenen Stiften sind nicht ungewöhnlich.
  • Außerdem birgt eine starke Distraktion über einen relativ kurzen Zeitraum das Risiko einer neurovaskulären Dehnungsverletzung.

Weitere Informationen zur externen Fixierung findest du hier.

Kürzung der Ulna

  • Die Kürzung der Ulna führt nicht zu einer Verringerung der Gesamtlänge des Arms – dies scheint ein weit verbreiteter Irrtum zu sein – da diese nicht durch die Ulna, sondern durch die Länge der (kurzen) Gewebe zum Zeitpunkt der Operation begrenzt ist. Siehe auch [1].
  • Die Verwendung von Platten, Schrauben und Drähten zur internen Fixierung verringert die mit der externen Fixierung verbundenen Probleme und erleichtert und beschleunigt die Rehabilitation [1].
  • Eine Osteotomie (Durchtrennung eines Knochens) ist – in gewisser Weise – ein Trauma wie eine Fraktur und führt bei Kindern häufig zu einem Überwachsen des Knochens (gut dokumentiert z. B. bei Frakturen des Femurschafts (Oberschenkelknochen)). In vielen Fällen ist dies ein Problem; in diesem speziellen Fall ist es jedoch ein Vorteil, da gegebenenfalls ein Teil der verlorenen Ulna zurückgewonnen werden kann.
Right hand in self-made orthosis at around 9 months, after 6 months of wearing self-made orthoses at night.
Soft tissue distraction pior to Radialization (Switzerland) © contact us

Formulierung des perfekten Szenarios

Für eine perfekte Ulnarisierung, die zu einer maximalen axialen Armlänge in Kombination mit allen anderen Vorteilen des Verfahrens von Dr. Paley führt (siehe „Chirurgische Methoden“), würden die Weichteilgewebe vor der Operation so weit aufgedehnt, dass sie (fast) der Länge der Ulna entsprechen, wodurch die erforderliche Verkürzung der Ulna auf ein Minimum reduziert oder sogar überflüssig würde,

  • ohne Verwendung eines externen Fixateurs, wodurch die oben erwähnten Nachteile vermieden werden
  • unter Vermeidung der Probleme, die mit der Aufdehnung im Allgemeinen verbunden sind, indem diese langsam und über einen langen Zeitraum durchgeführt wird, um neurovaskuläre Verletzungen zu vermeiden, d. h. es wird nur wenig Kraft aufgewendet, wodurch die zusätzliche Belastung des Gelenkknorpels und der Wachstumsfugen reduziert wird.

Und was ist mit Schienung? Wie oben erwähnt, haben viele herkömmlich angefertigte Schienen wenig bis gar keine Wirkung, da sie in erster Linie eine bereits erreichbare Handstellung fixieren. Schienen, die lediglich wie ein Gips am Arm abgeformt werden und etwas Spiel zulassen haben lediglich zur Folge dass das Handgelenk gleich bleibt. Das ist das, was wir nach der chirurgischen Korrektur erreichen wollen: den Unterarm in seiner Position zu fixieren und jede Bewegung zu vermeiden. Für mich ist inzwischen klar, dass eine konventionelle Schienung, wie Dr. Paley uns sagte, weder hilft noch schadet („neither helps nor harms“).

Andererseits beweist die Ponseti-Methode – siehe Exkurs -, dass durch äußere Krafteinwirkung über einen längeren Zeitraum Fehlstellungen sehr erfolgreich korrigiert werden können. Der Unterschied besteht darin, dass eine Ponseti-Schiene in der Regel starr (und manchmal nicht abnehmbar, z. B. ein Gips) ist und die betroffene Gliedmaße fest in einer Position hält, in die sie „gezwungen“ wurde. Dieser Grad der Fixierung ist an den oberen Gliedmaßen nicht praktikabel und mit den typischen thermoplastischen Schienen, die auf den Bildern zu sehen sind, kaum zu erreichen. Aus meiner Sicht ist es im Allgemeinen viel schwieriger, kleine, zerbrechliche Handgelenke zu fixieren, als zwei Füße auf einer Snowboard-ähnlichen Schiene mit Bindungen zu fixieren.

Digression: The Ponseti Method

Some research on the topic inevitably leads to the Ponseti method – a non-surgical treatment approach developed by Dr. Ignacio Ponseti in the 1940s for treating clubfoot. Based on gradual manipulation of the foot position in the affected baby or toddler, it involves several phases that are typically carried out over several weeks or months, starting with gentle pressure and traction techniques, later progressing to the application of plaster casts and special braces. The initial step involves gently bringing the clubfoot into an improved position, usually performed manually (and painlessly for the child). 

Once the foot position has been corrected as much as possible, a plaster cast is applied to hold the foot in the new position. The cast is regularly changed, typically every one to two weeks, to continue correcting the clubfoot. After several weeks or months of treatment with plaster casts, the child is provided with a special brace known as a Ponseti brace. This brace is worn at night and supports the corrected foot position to prevent the recurrence of the clubfoot.

The Ponseti method has proven to be highly successful in correcting clubfeet in babies and toddlers and is still applied worldwide. In most cases, it allows for complete restoration of foot function and average walking ability without the need for surgery.

Typical splint for the night (this one was made by professionals in Hamburg) of low-temperature thermoplastic material, heated to around 60-70°C in water and then shaped around the extended arm, maintaining the shape upon cooling
Orthosis of soft silicone made by a professinal orthoses maker. Did not fit very well and left hands sweaty. Impedes the sensoric stimulation crucial for a child's development.

Shaping Orthoses

The question for me was: how do I make a splint (I use the words splint and orthesis synonymously) that applies force when worn at night but can be removed during the day? It needed to be soft, not to introduce too much force, and be in the desired shape of the forearm/wrist, not the current one.

I then thought of Invisalign, a company that uses a digital approach for correcting dental misalignments. They use digital models of the teeth in their current and desired positions, and then 3D-print dental aligners can gradually move the teeth toward the desired positions. Patients replace the aligners with the next set every one to two weeks. The more extensive the correction, the more steps are required. Without digital models and 3D printing, this procedure would be nearly impossible. 

The idea now was – not new in orthopedics – to capture the shape of the forearms, wrists, and hands using a 3D scanner, then make slight corrections on the computer and create a positive mold for the orthoses through 3D printing. The mold would be used to craft the orthoses via vacuum molding. The resulting orthoses, made from a soft thermoplastic material, should exert a constant gentle pressure in the desired direction while being worn. Once pressure is no longer applied (as the soft tissues have lengthened), a new iteration for further correction is designed and manufactured. 

The images below show the Ulnarization procedure by Dr. Paley with osteotomy on the left and three „Stages“ of soft tissue distraction as I envisioned it when designing orthoses on the computer. Unfortunately, we never got x-rays done with orthoses shortly before surgery.

A 3D-Scan of the (stretched) right hand (at around 9 Months)
A 3D-Scan of the (stretched) right hand (at around 9 Months)

As Dr. Paley’s Paper is published under the CC BY-NC-SA license, all depictions derived from it are also under said license.

Building Orthoses & Conclusion

I consequently developed, built, and experimented with (here, my educational background came in handy) a wide variety of orthoses of different materials and stiffness, some including spring mechanisms, etc. (see pictures). You can find a detailed description of the process of making these orthoses and a discussion of the findings in this section.

After consulting our daughter’s orthopedist and physiotherapist, as well as an orthoses manufacturer, she would wear the best versions every night. In 2021, we showed the orthoses to Dr. Paley in Warsaw. 

Conclusion:

In our case, we believe that consistently wearing a customized orthosis every night and soft bandages during the day resulted in

  1. Our daughter benefiting from relatively straight yet mobile hands during the time before surgery, making everyday activities easier and less change to adapt to after Ulnarization.
  2. The osteotomy performed during Ulnarization being in the millimeters, not centimeters.
  3. Ultimately, this resulted in her forearms being a bit longer (how much is impossible to say, but I would guess about one to 1,5 centimeters, considering that 2-3cm ulna shortening are typical), thus requiring less lengthening.

Was it worth the considerable effort? Absolutely.

While one instance does not allow for general conclusions (our daughter’s soft tissues might have lengthened due to other, unknown factors), comparison of her hands (range of motion – „ROM“ – immediately before surgery) with untreated TAR-syndrome club hands (thumbs present) showed a striking difference.

If you decide to go down the same path as we did, start by talking to your child’s orthopedist and find an experienced orthosis builder. If you choose to take things into your own hands, consult a qualified professional before attempting any measures!

3D positive models for the vacuum molding of orthoses, early stage and late stage.

Below are 3D CAD renderings of an early-stage and a late-stage positive model for vacuum molding.

A Selection of Relevant Publications

Deszczyński, Jarosław & Albrewczyński, Tomasz & Shannon, Claire & Paley, Dror. (2021). Radial Club Hand Treated by Paley Ulnarization Generation 3: Is This the New Centralization?. Children. 8. 562. 10.3390/children8070562.

(1) Background: Patients treated with the two previous generations of ulnarization developed a bump related to the ulnar head becoming prominent on the radial side of the hand. To finally remedy this problem, a third generation of ulnarization was developed to keep the ulnar head contained. While still ulnar to the wrist center, the center of the wrist remains ulnar to the ulnar head, with the ulnar head articulating directly with the trapezoid and when present the trapezium. (2) Methods: Between 2019 and 2021, 22 radial club hands in 17 patients were surgically corrected with this modified version of ulnarization. (3) Results: In all 17 patients, the mean HFA (hand–forearm-angle) correction was 68.5° (range 12.2°–88.7°). The mean ulna growth was 1.3 cm per year (range 0.2–2 cm). There were no recurrent radial deviation deformities more than 15° of the HFA. (4) Conclusions: This new version of ulnarization may solve the problem of the ulna growing past the carpus creating a prominent ulnar bump. The results presented are preliminary but promising. Longer-term follow-up is needed to fully evaluate this procedure.

Paley, Dror. (2018). Limb reconstruction in the early 21 st century: The indications are broader and wider. Journal of Limb Lengthening & Reconstruction. 4. 65. 10.4103/2455-3719.253397.

Paley, Dror. (2017). The Paley ulnarization of the carpus with ulnar shortening osteotomy for treatment of radial club hand. SICOT-J. 3. 5. 10.1051/sicotj/2016040.

Recurrent deformity from centralization and radialization led to the development in 1999 of a new technique by the author called ulnarization. This method is performed through a volar approach in a vascular and physeal sparing fashion. It biomechanically balances the muscle forces on the wrist by dorsally transferring the flexor carpi ulnaris (FCU) from a deforming to a corrective force. The previous problems of a prominent bump from the ulnar head and ulnar deviation instability were solved by acutely shortening the diaphysis and by temporarily fixing the station of the carpus to the ulnar head at the level of the scaphoid. This is the first report of this modified Paley ulnarization method, which the author considers a significant improvement over his original procedure..